Über das Loslassen.
„Du musst einfach nur loslassen“, flötet meine beste Freundin über das gestärkte Tischtuch hinweg, als ich ihr beim Edelitaliener mein Herz über die allmorgendliche, hollywoodreife Abschiedsszene zwischen meiner Tochter und mir an der Kindergartenpforte ausschütte. Bei Handlungsanweisungen wie diesen ist es immer dasselbe: Die Checkbox zum Abhaken ist für meinen Verstand aktiv, für mein Herz jedoch ausgegraut. Loslassen, ja klar. Bloß wie?
„Was du in Liebe gehen lässt, kommt zu dir zurück.“, springt es mir in altrosa Lettern aus dem Selbstverwirklichungsteil des Lifestyle-Magazins entgegen, das mir die Friseurin für mein literarisches Trio (just me, myself and the Trockenhaube) während des Friseurtermines föhnwarm empfiehlt.
Loslassen… ja. Loslassen klingt gut, irgendwie befreiend. Und so einfach. Mit einem Körperteil, den ich unter meiner Kontrolle wähne, ist das auch sehr einfach. Die Hand zum Beispiel. Hand auf, zack, losgelassen. Das rohe Ei aufs Ceranfeld, das gute Porzellan von Oma auf den Boden. Oh… interessant. Da manifestiert sich auch schon mein Assoziationsdilemma: Loslassen klingt gut aber ist de facto schlecht! Kontrollverlust, Chaos, Apokalypse. Ich denke loslassen und fühle im Stich lassen. Wer oder was zum Teufel hat diese Verknüpfung in mein System gehäkelt? Eigene Kindheit, Trauma, Verlustangst – die üblichen Verdächtigen schlurfen in Sträflingsmanier hinter der verspiegelten Glasscheibe zur Gegenüberstellung. Ok, verstehe schon, ihr mal wieder. Ich habe mir inzwischen ein gedankliches Loch in die Scheibe gefräst, um die drei ein bisschen zu tätscheln. Jedes Mal ein bisschen länger. Wir freunden uns langsam an (ist das schon das Stockholm-Syndrom?).
Naja. Also wo es herkommt, weiß ich ja. Aber wie ändern? Wie geht loslassen mit dem Herzen? Irgendetwas muss doch auch hier festhalten, das nicht loslassen möchte, es muss eine Verbindung geben, so wie der Mond mit dem Meer verbunden ist und unsichtbar und kräftig zu sich zieht.
„Nur, weil du etwas nicht siehst, heißt es nicht, dass es nicht existiert“, pustet mein WLAN-Router durch seine dünne Staubschicht und blinkt einmal grün und ermunternd – grün, so grün wie die Hoffnung. Wow, schöne Assoziation. Stimmt, ich sehe das WLAN nicht und doch hat es heute zuverlässig alle 23 Nachrichten aus der Kindergarten-WhatsApp-Elterngruppe an mein Handy weitergeleitet. Ich lese die neueste Nachricht, diesmal vom Kindergarten: „Alles in Ordnung, die Kleine spielt ausgelassen mit ihrer Freundin.“ Ah. Losgelassen. Mit dem Herzen. Ich merke mir das Gefühl und nehme mir vor, es ab heute häufiger zu fühlen.
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